Susannes Aufzeichnungen

 

 

 

 

Im Oktober 2006, als Susanne erfuhr, dass sich die Metastasen in ihre Lunge ausgebreitet hatten,

las sie mir eines Abends die folgenden Zeilen vor.

 

 

 

Schneeflocken

 

Ich bin noch da. Noch spüre ich, schmecke und rieche ich.

Gefesselt an Schnüren, die mich am Leben erhalten sollen.

Dämmriges kaltes Licht macht meine Lider schwer.

Versuche, die Luft zu erahnen, so wie sie mal leicht zu atmen war.

Ich keuche, wissend, es werden die letzten Atemzüge sein,

die meine Lunge ohne fremde Hilfe seufzend machen kann.

Alleine, ausgeliefert, diesem grässlichen Ende des Erstickens nahe.

Versuche, mich zu betäuben, mit Drogen und süßen Gedanken,

die beruhigen und mich glauben lassen an ein sanftes Einschlafen,

aus dem es kein Erwachen gibt.

Aber noch spüre, schmecke und rieche ich.

Ich spüre die Zärtlichkeiten, die ich erfahren durfte, die unschuldigen,

verheißungsvollen Blicke.

Das Verlangen, deine Wangen sanft zu küssen und dir über dein dunkles

Haar zu streicheln, deinen Atem zu schmecken, an deinen freundlichen

Lippen haftend. Deine Haut zu riechen, auf der tausend kleine Härchen

meine Hände gleiten lassen wie auf einem Wattemeer, flauschig und warm,

umherirrend, nie mehr damit aufhören wollend.

Wie Schneeflocken endlos eintauchen in ein kaltes Bett aus luftigem Schnee,

schmelze ich in deinen Armen dahin und verliere mich.

Kuschelig umhüllt von Lebenslust schaue ich, versinke ich.
Schneeflocken am Fenster, die flüchtig umhertanzen.
Nun tanzen meine Zellen umher, wie der Mann im weißen Kittel sagte:

„Wie Schneeflocken ist Ihre Lunge besetzt mit Tumorzellen.“
Das war´s.
Ich habe den Kampf verloren.
Ich weine und ich möchte schreien. Ich weine und meine Kehle

ist wie zugeschnürt. Ich weine und mein Körper krampft sich zusammen

wie ein elendiges Stück Dreck.

Aber ich bin noch da.
Höre die Musik, die alles erzählt im Tango-Rhythmus.
Ein Auf und Ab, ein Geben und Nehmen.
Von Freud und Leid, von der Flamme der Liebe, die immer schon da war

und niemals vergeht.
Was wird von mir bleiben, wenn ich gehe…?

Es war einmal:
Auf prächtig golden schimmernder Seide sollst du fortan gehen, mein Kind.
Getragen von betäubender Lust sollst du tanzen, mit Träumen voll silbrigem Glanz.
Erhobenen Hauptes soll dir jegliches Wunder geschehen, mein liebes hübsches Kind.
Immer und ewiglich werd ich dich behüten und alles Unheil werd ich fangen

und dich mit Liebe und Ruhm bewerfen, mein liebes geliebtes Kind.